Marias Weihnachtswunder

Marias Weihnachtswunder
Maria Kleemann sitzt allein zu Haus - wie an jedem Abend - seit drei Jahren schon. Ihr Mann ist verstorben, ganz plötzlich. Es war das Herz. Sie hatten damals nicht einmal mehr Gelegenheit, Abschied voneinander zu nehmen. Allein war sie zurück geblieben. Von einem Tag auf den anderen. Kinder gab es keine, die sich hätten sorgen können. Und die vielen Freunde waren auch nach und nach weggeblieben. Ihr Mann war stets der belebende Impuls in all den Freundschaften gewesen. Manchmal fragt sich Maria, warum sie eigentlich noch da ist? Wofür und für wen sie noch lebt? Sie sitzt doch ohnehin jeden Abend allein in ihrem kleinen Wohnzimmer. Auf dem Sofa mit den vielen Kissen. Sie füllen den leeren Platz neben ihr. Aber irgend etwas ist anders heute. Es ist Weihnachtsabend - der "Heilige" sogar und Maria hat zum ersten mal wieder einen grünen Zweig in die Vase gestellt. Sie hat ihn mit vier weißen Kerzen, fünf kleinen roten Kugeln und ein wenig silber glänzendem Lametta geschmückt. Davor steht ein Foto ihres Mannes. Ihre Ehe war glücklich gewesen. Sie hatten einander so sehr geliebt. An einem Tag wie heute fehlt ihr ihr Helmut besonders. Tränen laufen über ihre Wangen. Da klingelt es plötzlich. Maria eilt zur Tür, streicht hastig ihre Bluse glatt und öffnet. Da steht ein kleiner Weihnachtsmann. Die verdutzte Frau erkennt Felix, den Nachbarjungen von nebenan. Der winkt mit einer großen Rute, lässt sie schnell wieder sinken und brummt mit tiefer, verstellter Stimme: "Ich habe gehört, du warst das ganze Jahr über artig, Maria. Zur Belohnung darfst du mit uns Abendbrot essen". Die alte Frau zögert, will schon den Kopf schütteln, da sieht sie hinter dem viel zu großen Bart ein Paar bittende Kinderaugen sie anblinzeln und so nickt sie zustimmend. "Ich muss mich nur noch ein wenig

hübsch machen." "Ach was, du bist doch schon schön." Energisch zieht der Junge Maria an der Hand aus der Wohnung. Diese kann gerade noch nach ihrem Schlüssel greifen. Fünf Minuten später sitzt sie gemeinsam mit den drei Wenzel's an einem festlich gedeckten Tisch und lässt sich den leckeren Kartoffelsalat mit den heißen Würstchen schmecken. Dann kommt der große Augenblick - die Bescherung. Der kleine Weihnachtsmann hat alle Hände voll zu tun. Liebevoll eingepackte Geschenke werden enthüllt. Papier raschelt und rote Schleifen müssen mit viel Geduld entknotet werden. Schließlich herrscht große Freude in den Gesichtern der Beschenkten. Am Ende hält der Weihnachtsmann noch eine einzige kleine Schachtel in die Händen, "Die ist für dich, Maria!" Die so überrascht Beschenke wickelt das Päckchen aus. Ein Kerzenhalter kommt zum Vorschein. "Den habe ich selbst geschnitzt", erklärt Felix stolz. "Wenn du eine Kerze hineinstellst und sie zum Leuchten bringst, bist du nicht mehr so einsam. Weißt du, ich bin manchmal auch allein. Meine eine Oma habe ich gar nicht erst kennengelernt und die andere ist im letzten Jahr gestorben. Willst du meine neue Oma sein? Ich habe gehört, du warst früher Lehrerin. Kannst du nicht ein oder zwei mal in der Woche mit mir Hausaufgaben machen? In Mathe bin ich nicht so gut und in meinem letzten Aufsatz habe ich auch nur eine Drei bekommen. Das wäre mein größter, mein alleiniger Weihnachtswunsch". Erst jetzt bemerkt Maria, dass der Junge selbst nicht ein einziges Geschenk für sich behalten hat. Mit Tränen in den Augen stammelt sie gerührt: "Ich habe mir immer eigene Kinder und Enkel gewünscht und ja, ich möchte gern deine neue Oma sein, du lieber- kleiner Weihnachtsmann!" Und nun erhält die einsame alte Frau ihr allerschönstes Weihnachtsgeschenk - einen herzhaften - nach Schokolade und Pfefferkuchen schmeckenden Kinderkuss - mitten auf den tränennassen Mund.

Autor: Angelika Weber

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