Weihnachten 1946/47

Weihnachten 1946/47
Zeitzeugenerzählung:"Ein Dachhase wurde zum Karnickel oder Habgier lohnt sich nicht!"
Es war die Zeit vor Heiligabend, wir waren wieder unterwegs, um Lebensmittel in den umliegenden Dörfern zu organisieren!
Der Schwarzmarkt hatte seine Hochblüte und es war ein gefährliches Unternehmen, wurden wir erwischt, waren die gehamsterten Lebensmittel futsch und wir wurden eingelocht!
Vielleicht ist einigen der Begriff fechten noch bekannt?
Heute würde man sagen, bettel, aber die Zeiten waren anders und man hatte ja auch seinen Stolz.
Wir waren gerade in einem Dorf angekommen, versteckten unsere Fahrräder am Dorfrand im Schilf und steuerten das erste Gehöft an.
Hier schien die Welt noch in Ordnung, es wurde bestimmt kein Hunger gelitten.
Das Vieh in den Ställen, vielzählig, dick und fett und aus den Schornsteine stiegen weiße Rauchwolken in den frostklaren Himmel.
Man mußte erst einmal auskundschaften, ob ein Hofhund vorhanden war, wie war die Bäuerin oder der Bauer.
Wir schlichen uns an das erste Wohnhaus heran und sahen durch das Küchenfenster.
Kein böses Hundegebell oder war er in der Scheune eingesperrt?
Es blieb still!
So wie es aussah, war kein Hund da.
Durch das Küchenfenster sahen wir, vier geschlachtet Karnickel auf dem Küchentisch, hier würden wir sicherlich eine Kleinigkeit bekommen.
Zaghaft klopften wir an die Haustür.
Nach geraumer Zeit wurde die Tür geöffnet und eine dicke, rotwangige Bäuerin erschien.
Mit listigen, kleinen Augen wurden wir von ihr begutachtet.
"Nah," sagte sie zynisch und böse, "wollt ihr wieder betteln, ihr Städterpack", und schlug uns die Tür vor der Nase zu.
"Bei mir gibt es nichts", schrie sie noch im Flur, hinter der zugeschlagen Tür.
Wie geprügelte Hunde zogen wir uns zurück, wussten aber, dass genügend vorhanden war.
Wo blieb die Nächstenliebe, bei so viel Essbaren, hätte sie uns doch etwas abgeben können, es war doch kurz vor Heiligabend.
Nach geraumer Zeit öffnete sich wieder die Haustür und die Bäuerin hängte die vier Karnickel zum Auskühlen an die Teppichstange, die sich seitlich vom Küchenfenster befand.
Eigentlich waren wir ja gewöhnt, so abgewiesen zu werden, oftmals war ein Knüppel oder Fußtritte im Spiel!
Aber soviel Geiz und Boshaftigkeit, das konnten wir unsererseits nicht hinnehmen!
Auf dem Hinweg ins Dorf, neben dem Schilf, da wo wir unsere Fahrräder versteckt hatten, lag eine tote Katze, vermutlich

war sie in der vergangenen erfroren.
Wir liefen zurück und mit unseren Taschenmesser wurde das steinharte Tier seines Fells beraubt und mühsam ausgeweidet.
Und so wurde aus einem Dachhase ein Karnickel!
Als wir mit unserer Arbeit fertig waren, schlichen wir wieder zurück auf den Bauernhof, einer stand Schmiere, der andere tauschte das echte Karnickel gegen die Katze aus, alles war ja hart gefroren und passte perfekt!
Unsere Beute steckten wir in einen unserer Rucksäcke, holten die Fahrräder und fuhren ins Dorf, wo wir tatsächlich mildtätige Menschen fanden.
Wir bekamen Kartoffel, Weizen, Rüben und sogar ein großes Bauernbrot geschenkt.
Auf dem Rückweg, mit unseren gefüllten Rucksäcken, kamen wir wieder an dem Gehöft vorbei, wo immer noch die Karnickel und unser Dachhase zum Auskühlen, an der Teppichstange hingen.
Knurrend und zähnefletschend schlichen drei streunende Hunde um die Teppichstange und versuchten das verlockende Fressen zu ergattern.
Sie gebärdeten sich wie wild, der hart gefrorene Schnee flog in Fetzen durch die Gegend.
In der Haustür die Bäuerin mit einem Knüppel bewaffnet, aber sie traute sich nicht die Tiere zu vertreiben.
Bei uns war sie großkotzig und hier, feige, aber trotzdem habgierig.
Sollten wir ihr helfen, wo sie uns so behandelt hatte?
Unsere Rache hatten wir ja schon!
Wir legten unsere Fahrräder ab, und vertrieben die Tiere!
Gierig griff die Bäuerin nach den vier gefrorenen Tierkörpern, riss sie von der Stange und verschwand im Inneren des Hauses.
Mit einem Knall flog die Haustür zu, kein Wort des Dankes, Hauptsache sie hatte ihre Karnickel!
Selber essen macht fett, sollte sie doch selig werden, die alte Fettel!
Lachend fuhren wir nach Hause, wir hatten Brot, Rüben, Kartoffeln, Holz und Kohlen für den Ofen.
Das Beste aber war das Karnickel und aus dem Weizen brannten wir Kaffee und es wurde Mehl gemahlen.
Wir konnten sogar Plätzchen backen.
Am Heiligabend leuchtete unser geklaute Tannenbaum in seiner ganzen Pracht in der guten Stube.
Wir aßen einen saftigen Braten und für ein paar Stunden konnten wir in einer geheizten Stube das Leid vergessen.
Trotz des Hungerjahres 1946/47, hatten wir sehr fröhliche Weihnachten und der Bäuerin in ihrer grenzenlosen Herzlosigkeit das Fell über die Ohren gezogen!
Ich hoffe, dass solche Zeiten nie wieder kommen, frohe Weihnachten und Frieden auf Erden!

Autor: Dieter Siebald

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